Valentino Brasilero
Am nächsten Morgen war der Strom wieder zurück. Ich hüpfte leichten Fußes aus dem Bett, ließ Lissandra noch einen Moment bis drei Stunden lang weiter schlafen. Hier bin ich Mensch, hier lass ich sein. Leise schloss ich die Zimmertür hinter mir und schlich mich in die Küche. Mein morgendlicher Kaffee wartete schon auf dem Herd auf mich. Ich hatte Lissadras Mutter gesagt, dass ich meinen Kaffee gerne OHNE Zucker mit einem Tupfer Milch mochte. Sie war informiert und hatte mir in den vergangenen zwei Monaten meinen Kaffee immer vorgekocht, bevor sie zur Arbeit ging. Ich entflammte die Herdplatte und begann zu singen: "Where there is desire there is gonna be a flame..." Ich kreiste mit den Hüften durch die Küche, während mein Kaffee heiß werden sollte, holte ein Leckerli für Nina aus der Box und reichte ihr den Snack. Gierig wie immer schnappte sie ihn mir aus der Hand. Ich zog selbige schnell zurück, damit Nina nur den Snack, nicht aber meine Hand verschlingen würde. Sie wedelte mit dem Schwanz.
Dann war mein Kaffee heiß, ich goss ihn in meine Sao Paulo Tasse von Starbucks, verfeinerte ihn mit diesem besagten Tupfer Milch - für ein Meisterwerk benötigt man schließlich die exakte Farbkombination - und tänzelte zurück in das Wohnzimmer, setzte mich an den großen Esstisch und checkte meine E-Mails. Noch einmal den Löffel durch den Kaffee gekreist, dann sollte es losgehen. Genüsslich setzte ich die Tasse an meine Lippen und schlürfte den ersten Schluck nichts ahnend.
Pfffffffffffff - in einem hohen Bogen stieß ich fontänenartig das dunkle Gesöff, welches mir als Kaffee vorgehalten wurde, quer über den Esstisch. Das Wohnzimmer bekam einen neuen Anstrich. Irgend etwas war faul im Staate Dänemark! Jemand hatte mir Kaffee in die Zuckerdose geschüttet! War dies etwa der Vorbote der Apokalypse? Ich wusste es nicht - für einen Augenblick wusste ich gar nichts mehr...
"Wirst du wohl wach werden!" rüttelte ich nun Lissandra unsanft aus ihren Träumen. Wie konnte sie nur nach einem derartigen Eklat noch so ruhig weiter schlafen? Ganz so als wäre nichts gewesen! Dabei drehte sich doch plötzlich die Erde um den Mond.
Als Lissandra dann endlich wach wurde, erklärte ich ihr das ganze Dilemma. Besorgt guckte sie mich an. "Denkst du, sie hat etwas gehört letzte Nacht?"
Ich überlegte: Es gab keinen Strom und daher nur wenige Unterhaltungsmöglichkeiten, im ganzen Haus war es still wie auf dem Friedhof, die Wände waren aus selbst gebasteltem Pappmaché und Lissandra war nicht unbedingt als dezent ruhige Liebhaberin bekannt. Zumindest nicht mir! Darüber hinaus waren Lissandras Eltern konservative Christen.
"Weiss ich jetzt auch nicht," stellte ich mich unwissend. "Wäre es denn so schlimm?"
"Ja!"
"Hum, vielleicht hättest du mir besser von den Blutegeln erzählt, bevor ich in den See gesprungen bin..."
Lissandra ging in die Küche und ich kochte mir neuen Kaffee. Vorerst konnten wir nicht wirklich viel tun, wir beide waren sehr gespannt darauf, welche Folgen unser kleiner Kampf in der Stille der Nacht nach sich ziehen würde. Fürs erste waren wir alleine im Haus.
"Möchtetst du Manga?" fragte mich Lissandra.
"Nee, danke. Steh ich nicht so drauf," erwiderte ich geistig immer noch mit der anderen Geschichte beschäftigt, doch fragte mich die erste graue Zelle, wie sie nun auf Manga gekommen war. Ob sie da eine affine Neigung hatte von der ich noch nichts wusste oder ahnen wollte.
"Als wir noch Kinder waren, da hatten wir zwei Mangabäume im Garten stehen, aber dann hat mein Vater sie eines Tages abgesägt, weil die Jungs aus der Nachbarschaft über die Mauer geklettert kamen und sich immer Manga klauten! Er hatte Angst, dass sie auch uns eines Tages mitnehmen würden. Schließlich waren wir den ganzen Tag alleine zu Hause."
Mangabäume? Mein Gehirn spielte mit der neuen Information Tetris, aber es sollte einfach keine passende Lücke für diesen merkwürdigen neuen Baustein finden. Ich stellte mir eine Palme vor, an der statt Kokosnüssen diese japanischen Comics hingen und immer grösser wurden, bis sie eines Tages von alleine herunter zum Boden fielen. Dann kamen ein paar Japaner mit vorstehenden Schneidezähnen und riesigen Brillen aus den Gebüschen gesprungen, um sich gierig auf diese Mangas zu stürzen. Hai, arigato! Sie grinsten, zeigten mit ihren Fingern in die perversen Comics und verschwanden mit ihrer Beute wieder im Gebüsch.
Lissandra kam mit einem Teller aus der Küche und setzte sich neben mich an den Esstisch. Sie pikste ihre Gabel in ein Stück gelblich-orangenes Fruchtfleisch. "Mhhh, lecker Manga," sagte sie nur.
"Ach du meinst Mango. Ich liebe Mango," sagte ich und nahm mir ebenfalls etwas vom Teller. "Bei uns heisst es Mango, nicht Manga."
"Komisch," begann sie. "Bei uns heisst es Manga - ich wusste gar nicht, dass sie bei euch überhaupt wachsen!"
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