Valentino Brasilero
Game over! Die Freundlichkeit der ersten beiden Monate war urplötzlich einfach verflogen. Nun gut, ganz so überraschend war es im Nachhinein dann doch nicht. Hätte ich die Wortpaare konservative Christen, Sex erst nach der Ehe und Gastfreundlichkeit der Schwiegereltern doch schon früher miteinander verbunden. Nun war ich eben mit dem Kopf ungebremst gegen eine Wand gestürzt. Es war Wochenende und jedes Mal wenn mich Lissandras Mutter sah, da sprachen ihre Blicke Bände. Und in diesem kleinen Haus trafen wir uns unglücklicherweise nahezu alle fünf Minuten!
Vermutlich hätte sie mich am liebsten am nächsten Baum aufgehängt, mit meiner Lanze der Liebe voran, mich dann hängend ausgeweidet und langsam ausbluten lassen, bis die Hunde dann anfingen, meinen halbtoten Körper anzunagen. Diese Information lag zumindest in ihren furchterregend bösen funkelnden Augen. Ich bekam es mit der Angst zu tun und rief verzweifelt die Fluggesellschaft an. Doch gab es keine Möglichkeit, mein Rückflugdatum vorzuziehen. Entweder in einem Monat oder ein neues Ticket buchen, sagten sie nur kalt. Auch meine Erklärungsversuche, ich würde hier in Lebensgefahr schweben, wollten sie nicht ernst nehmen. Ich war gefangen. Ich war alleine. "Meu Deus!" hörte ich die Mutter immer wieder vor sich hin brummeln. Dann streckte sie ihre Hände betend in die Höhe und wiederholte "Meu Deus".
Ich fürchtete, jeden Moment könnte mich ein himmlischer Blitz niederstrecken. Der Vater grinste nur schief, wie ein perverser Hund im Comic. Die ganze Situation schien ihn köstlich zu amüsieren. Lissandra schien die Situation sehr gelassen hinzunehmen. Der Tag verging und als wir abends beschäftigungslos im Bett nebeneinander lagen, hörte ich bis zum Einschlafen immer wieder die Worte "Meu Deus" durch die Wand.
Als ich am nächsten Morgen wieder erwachte, war ich völlig erschöpft. Ich hatte schlecht geträumt. Die ganze Nacht über musste ich auf einem Kaktus durch die Wüste reiten. Es gab kein Wasser, es gab keine Pause und ich kam niemals an. Lissandra schlief noch. Normal wäre ich ja schon aufgestanden und hätte sie noch ausschlafen lassen, aber ich hörte schon wieder die Worte aus der Küche "Meu Deus". Vielleicht könnte ich ja die ganze Sache schlafend aussitzen, dachte ich und drehte mich noch einmal um.
Später am Tag waren wir dann wieder alleine im Haus. Die Mutter wollte unbedingt in die Kirche - ich wusste auch nicht genau warum... Lissandra meinte, von nun an müssten wir eben auswärts "essen" wie die anderen Brasilianer eben auch.
"Weißt du, wie wir diese Autobahn von Cotia nach Sao Paulo nennen?"
"Du meinst diese Autobahn mit den gefühlt 3.000 Motels? Nein, keine Ahnung. Motellobahn?" scherzte ich.
"Wir nennen sie die Autobahn der Liebe."
"Ah," in meinem Gehirn tauchte ein Stadion in der Dunkelheit auf. Nach und nach schalteten sich die Scheinwerfer ein und Publikum tauchte auf den Rängen auf. In der Mitte des Stadions stand ein Moderator, der auf mich zeigte: Nun hat er es, meine Damen und Herren. Das Publikum tobte und klatschte heftigen Beifall.
"Na, wenn ihr da mal nicht Lust und Liebe verwechselt."
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