Goldgräberstimmung und Hai-Alarm
Es ging weiter auf der Cape Point Route bis an den südlichsten Punkt der Landzunge: Das Kap der guten Hoffnung. Das Kap der guten Hoffnung liegt inmitten eines großen Nationalparks. Hier findet man einige einheimische Tierarten vor: Vogel Sträuße, Paviane, Wale, Schlangen (Die einzige Schlange, die ich mit eigenen Augen sah, hörte auf den Namen Christian). Überall gab es Warnhinweise, man solle auf gar keinen Fall die Paviane füttern, da sie sehr gefährlich wären. Zum Schutz der Touristen ist es sogar per teurer Geldstrafe verboten, diese kleinen Gauner zu füttern. Dies hielt viele Touristen jedoch trotzdem nicht davon ab. Die Paviane, die nicht gefüttert wurden, versteckten sich hinter den Autos, um blitzartig hervorzuschnellen, den Rucksack eines Touristen zu klauen, um dann für immer damit zu verschwinden. Auf dem Weg zu einem der zahlreichen wunderschönen Aussichtspunkte beobachteten wir, wie eine Touristin einem der Paviane hektisch hinterher lief. Immer wieder schrie sie aus vollster Verzweiflung: „My passport, my passport!“ Südafrika hatte wohl eine neue Staatsbürgerin gewonnen. Beziehungsweise vielleicht auch nur eine weitere illegale Einwanderin.
Am darauf folgenden Tag war das Wetter so schlecht, dass uns nicht viele Optionen blieben. Erneut gingen wir an die Waterfront, schlenderten durch die Mall und gingen dann anschließend in das sehr dekadente Belthazar Restaurant & Wine Bar zum Mittagessen. Christian bestellte sein Straußensteak “well done” (gewöhnlich isst er sein Steak blutig, doch auf meine entsprechende Frage, entgegnete er belehrend, man könne in Südafrika nichts blutig essen, da die Salmonellengefahr zu hoch wäre. Ich nickte.), während ich ausgedehnt auf einem Salatblatt kaute. Schließlich musste ich noch für den Landrover sparen. Anschließend guckten wir uns einen Film im Kino an. Es passierte noch während des Vorprogramms: Ich klaute mir ein paar Gummibären aus Christians Tüte. (Wenn man in dieser Welt etwas haben möchte, so muss man es sich nehmen.) Plötzlich bemerkte ich, dass sich mehr als nur Gummibären in meinem Mund befanden! Etwas Metallisches klackte gegen meine Zähne. Ich schluckte schnell hinunter. Doch schon in diesem Moment ging mir ein Licht auf. Erschrocken tastete ich mich mit meiner Zunge an den Beißerchen entlang. Mein schlimmster Verdacht wurde bestätigt: Ich hatte mein Goldinlay heruntergeschluckt! Am darauf folgenden Morgen ging ich dann einer neuen Tätigkeit nach: Zuerst besorgte ich mir ein Metallsieb aus der Küche des Hostels, dann kam der morgendliche Kaffee zum Einsatz. Schnell rauchte ich noch eine Zigarette und dann verschwand ich mit der Tageszeitung unter den Arm geklemmt in meinem neuen Arbeitszimmer. Viel zu leichtsinnig dachte ich mir, dass das Inlay schon nach 24 Stunden seinen Weg zurück an das Tageslicht finden würde. Falsch gedacht! So entwickelte ich in den darauf folgenden Tagen ein neues morgendliches Ritual: Ich war unter die Goldgräber gegangen. Nun ja, dachte ich mir: In Südafrika ist schon so mancher reich geworden, durch das beständige Schürfen nach Gold. Eine wirkliche Scheißarbeit, kann ich Ihnen sagen. Und so vergingen ein paar Tage. Als ich endlich das „Pling“ in der Metallschüssel vernahm, war ich wieder sehr glücklich. Noch am selben Tag ging ich zu einem hiesigen Goldhändler und ließ mir den entsprechenden Goldwert des Inlays auszahlen. Der Landrover war bezahlt und endlich konnte ich wieder etwas essen. Dieses Mal hatte ich wirklich aus Scheiße Gold gemacht und seitdem habe ich einen neuen Spitznamen bekommen. Nun nennt mich Christian: El Nikki, der kleine Goldesel.
Dann kam endlich der Morgen aller Morgen, unser goldenes Vlies, der Goldtopf am Ende des Regenbogens: Wir bekamen grünes Licht aus Gansbaai. Noch in der Dunkelheit fuhren wir unserem Rendezvous mit dem größten Fisch des Meeres entgegen. Ich hörte meine Lieblingsmusik: Die “Foo Fighters”. Schon komisch, wie einige Textzeilen in den entsprechenden Situationen auf uns wirken. In meinen Kopfhörern dröhnten mir „There is no way back from here“ und „Long road to ruin“ entgegen. Seltsamerweise hatte ich keine Lust mehr auf Musik, schaltete den MP3-Player aus und sah mir stattdessen den Sonnenaufgang an. Skeptisch standen wir vor unserem Ausflugsboot. „You’re going to need a bigger boat,“ zitierte ich Roy Schneider. „Ach, wir werden in diesem Edelstahlkäfig in Sicherheit sein,“ entgegnete Christian. „Ist das da oben Rost?“ fragte ich. In diesem Moment lief unser Haiexperte an uns vorbei und beruhigte uns mit den Worten: „Wenn der Hai will, dann kann der den Käfig wie einen Zahnstocher zerdrücken.“ „Der will ja aber gar nicht“, behauptete Christian. „Jungs, ihr dürft keine Angst haben, so etwas spüren die Haie und dann greifen sie an. Solange ihr keine Angst habt, ist alles gut.“ „Siehst du: Ganz einfach!“ fügte Christian hinzu. Schnell unterschrieben wir noch diesen Wisch, dass wir die Shark Diving Unlimited für gar nichts verantwortlich machen könnten, egal was auch passieren würde. Dann legten wir ab. Die Wellen waren etwa drei Meter hoch und wir begannen zu verstehen, warum es an den Tagen zuvor wirklich unmöglich war, hinaus zu fahren. Selbst bei diesen Drei-Meter-Wellen war es das reinste Abenteuer. Vor Dyer Island hielten wir an und die Besatzung lockte die Weißen Haie mit Robbenblut an. Im Gegensatz zu den Gerüchten, kann ein Hai über eine Distanz von Kilometern genau riechen, um was für ein Blut es sich handelt und so ist es äußerst unwahrscheinlich, dass ein Weißer Hai auf Menschenblut überhaupt reagiert. Es dauerte etwa eine halbe Stunde. Überall flogen Möwen umher und die Mannschaft bedeutete uns, immer mit den Augen den Möwen zu folgen, um nach den Haien Ausschau zu halten. Ich stand an der Reling neben einem US-Amerikaner. Uns wurde gesagt, wie kalt das Wasser war. Mein Nachbar fühlte sich bei diesen Worten veranlasst, das ganze mal mit seiner Hand zu überprüfen. Ich zog ihn schnell zurück. Er guckte mich verwundert an. Ich sagte: „Wir locken hier Weiße Haie mit Robbenblut an und du willst deinen Ärmel ins Wasser halten? Willst wohl, dass dir die Flosse abgebissen wird!“ Dann war auch schon der erste Hai da. Der große Körper des Hais ist quasi ein einziger großer Muskel, an dessen Ende sich ein dreiläufiges Revolvergebiss mit messerscharfen und dolchgroßen Zähnen, die immer wieder nachwachsen, befindet. Der Käfig wurde heruntergelassen, wir zogen uns die Neoprenanzüge an. Christian wollte unbedingt der erste sein. Ich ließ ihm großzügig, wie ich bin, den Vortritt.
Nach etwa einer Stunde kam er zitternd wieder aus dem Wasser. Die Wassertemperatur lag bei etwa 13 Grad Celsius. Man fror bis auf die Knochen, selbst im Neoprenanzug. Ich übergab ihm die Spiegelreflexkamera und hüpfte hinein in den kleinen Käfig. Es ist gar nicht so einfach, sich bei derartigem Wellengang in dem kleinen Käfig festzuhalten, ohne irgendwelche Extremitäten aus dem Käfig hängen zu lassen. Und es strengt unglaublich an. Unter Wasser wirkten die Haie noch größer. Ich hielt es etwa zwei Stunden aus, bevor ich völlig erschöpft und eiskalt mit letzter Kraft wieder zurück ins Boot krabbelte. Es war sehr beeindruckend, wie diese Giganten an dem Käfig vorbei schwammen. Insgesamt sah ich sechs verschiedene Riesen; einer hatte kräftige Narben auf dem Rücken. Ist wohl an einem Schleppnetz hängen geblieben, dachte ich. Die Haie wirkten sehr verspielt. Unser Experte meinte, der Größte, den wir an jenem Tage sahen, war gut und gerne 5,5 Meter lang. Absolut beeindruckend. Übrigens geht dieser Haiexperte, Mike Rutzen, ganz ohne Schutz mit den Weißen Haien ins Wasser und spielt mit ihnen. Er erforscht die Tiere seit Jahren und ist sehr bemüht, die Art zu schützen. Wenn wir so weiter machen wie bisher, dann wird es in etwa zehn Jahren keine mehr geben, sagte er. Das Shark Cage Diving veranstaltet er nur, um finanzielle Mittel zum Schutz der Art bereit zu stellen. Beeindruckende Tiere, beeindruckender Mann. Das Warten und die Reise hatten sich per Definition gelohnt. Nie zuvor hatte ich so viel Ehrfurcht vor der Natur.
Am Nachmittag machten wir uns dann auf den Rückweg. Wir hielten noch in Hermanus an und beobachteten vom Festland aus (eigentlich hätten wir auch hier gerne einen kleinen Bootsausflug gemacht), wie unzählige Wale mit ihren Kälbern umher schwammen. Jedes Jahr kommen die Wale an die Buchten von Hermanus, um ihre Jungen zur Welt zu bringen. Wale sind sehr intelligente Tiere und kommunizieren mit ihrem Gesang untereinander. Ich überlegte, ob es ihnen vielleicht bewusst wird, dass jedes Jahr weniger Wale in die Bucht von Hermanus zurück gelangten. Ein trauriger Gedanke. Stellen Sie sich vor, Sie kommen nur Weihnachten nach Hause und müssen jedes Jahr feststellen, dass ein weiteres Familienmitglied fehlt. Jahr für Jahr. Solange, bis Sie alleine feiern müssen.
Von Hermanus aus fuhren wir die wunderschöne Whale Route entlang zurück nach Kapstadt. Wir hielten immer wieder an den kleinen Buchten an und schauten hinaus aufs Meer. Eine unglaublich schöne Landschaft, die mit nichts in Europa zu vergleichen ist. Bei der Whale Route handelt es sich um eine sehr gute und modern ausgebaute Straße, die direkt an den zahlreichen Meeresbuchten entlangführt. Immer wieder gibt es kleine Parkplätze an den Seiten: Diese sind eigens für Touristen gebaut worden, um auf der Strecke zwischendurch immer wieder anhalten zu können, um Fotos von den Walen und der malerischen Landschaft machen zu können. Lassen Sie es sich um keinen Preis entgehen. Besonders schön wirkt die Landschaft in der allmählich untergehenden Abendsonne. (Aber passen Sie auch hier auf Paviane auf!)
Dann ging es leider wieder zurück zum Flughafen. Wir blieben vor der Eingangshalle stehen, Christian guckte mich an und sagte: „Wart mal, ich hab da noch ‘ne Stange Zigaretten.“ „Gib mal rüber,“ sagte ich. „Eine Zigarette?“ „Eine Stange!“ entgegnete ich. „Der Hinflug in der World Business Class hat mir schon ganz gut gefallen…”
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