Eine Nacht unter freiem Himmel
Im August: Die Sonne brannte uns die Nacken rot. Der Tag war am Besten in der exakten Mitte zwischen Getränkekühlschrank und Pool auszuhalten. Es war dringende Zeit, endlich mal wieder raus zu kommen. Bremen war einfach zu heiß geworden. Der nächste Urlaub stand unmittelbar bevor. Christian meinte noch zu mir: „El Nikki, wir müssen einen Kurztrip machen! Dringenst. Superlativ, verstehen Sie?“ Ich nickte und zählte reflexartig ein paar naheliegende Gedanken auf: „Ein Wochenende in Stockholm, St. Petersburg, London, vielleicht wäre Irland eine Alternative?“ „Nikki,“ Christian zog nun meinen Spitznamen in die Länge und verdunkelte die Vokale. Alle beide. Den Artikel ließ er ganz weg. Ich wurde gedemütigt. „Wenn ich sage Kurztrip, dann meine ich zwei Wochen in Rio, Las Vegas, Bangkok, oder Shark Cage Diving in Kapstadt, verstehen Sie?“ Ich nickte bedenklich. „Shark Cage Diving,“ fragte ich nach. „Erzähl mir mehr.“ Anschließend sahen wir uns noch so ein verstörendes Video im Internet an, in dem man sah, wie es einem weißen Hai gelang, mit dem riesigen Maul in die Guckscharte des Käfigs zu gelangen. Unsere Vorbereitungen waren abgeschlossen.
Zwei Tage später standen wir mit gepackten Koffern vor dem Bremer Flughafen. Wir waren rechtzeitig da, Christian musste noch kurz die Stange Zigaretten aufrauchen, bevor es losgehen konnte. Die sind nicht mehr gut, wenn wir zurück sind, meinte er. Ich nickte. Manchmal ist es das Beste, einfach gar nichts zu sagen. Bei diesem Gedanken musste ich dann auch nicken. Kaum hatten wir unsere perfekte Reisehöhe erreicht, da fingen unsere persönlichen Turbulenzen bereits an: Christian, in den Sitz gepresst, zuckte, wie ein Hühnchen, dem man soeben den Kopf abgeschlagen hatte. Er stöhnte immer wieder. Ich guckte mir das ganze einen Moment lang an, auf jeden Fall interessanter, als das Bordprogramm, dachte ich. Dann war auch schon eine der Flugbegleiterinnen da: „Geht es ihm nicht gut?“ Christian stöhnte laut auf. „Es ist nur ein kleiner Nikotinschock,“ entgegnete ich. „Der fängt sich schon wieder.“ Ich stieß meinen Ellbogen in Christians Seite, er stöhnte erneut auf und ich rollte mit den Augen, so dass es die Flugbegleiterin nicht sehen konnte. „Kann man denn irgend etwas für ihn tun,“ fragte sie nun mit besorgter Stimme. „Nun ja, wenn wir etwas mehr Beinfreiheit hätten, dann würde es ihm bestimmt sehr viel besser gehen,“ entgegnete ich.
Der anschließende Flug in der World Business Class war überhaupt nicht das Problem: Unglaublich viel Beinfreiheit, leckeres Essen und ein perfekter Service. Es war der beste Flug, den ich jemals machen durfte und es war eine Win-Win-Situation – zumindest so lange die Flugbegleiterin niemals das Wort „Nikotinschock“ nachschlagen würde. Wir landeten abends in Kapstadt und nahmen ein Taxi zum bereits gebuchten Hotel (Wenn Sie vorhaben, ihre Reise selbst zu organisieren, dann empfehle ich hierbei, immer zumindest das erste Hotel nach dem Flug bereits von Deutschland aus zu buchen, so dass Sie zumindest am Tag der Ankunft bereits wissen, wo es konkret hingehen soll. Viele Hotels und Hostels bieten auch einen kostenlosen Storno-Service an.)
Das Hostel war ziemlich geräumig und unser Zimmer recht komfortabel. Wir hatten sogar einen kleinen Balkon. Das Wetter hingegen war das absolute Kontrastprogramm zum viel zu heißen Sommer in Deutschland: Auf die Temperaturen waren wir zwar gut eingestellt, schließlich sind wir in den Winter Südafrikas geflogen, doch gab es leider auch sehr viel mehr Regen, als wir erwartet hatten. Statistisch gesehen gibt es 13,7 Tage Regen im August – in unseren 14 Tagen in Kapstadt haben wir sie alle erlebt, sogar ohne Aufpreis. Glücklicherweise hatte ich den gelben Friesennerz wieder einmal dabei. Sogar die Einheimischen behaupteten, es wäre ungewöhnlich viel Regen, selbst für die Jahreszeit. Nun fragen Sie natürlich völlig zurecht, was diese beiden Idioten auch in den Winter fliegen. Ganz einfach: Es ist eben die beste Zeit, um weiße Haie zu beobachten und das war schließlich unser Hauptziel in Kapstadt.
Blitzschnell hatte Christian seinen Koffer ausgepackt: Auf meinem Bett, schließlich wollte er selbst in seinem eigenen Bett liegen. Mir blieb zumindest der äußerst komfortable Schemel. Zum perfekten Bauernglück fehlte eigentlich nur noch die Milchkuh.
Nach einer kurzen Ruhepause ging er dann hinaus auf den Balkon. Ich folgte ihm nach einem kurzen Moment. Schließlich hatte sich mein Rücken gerade erst an den Komfort des Schemels gewöhnt. Ich stand auf dem Balkon, die Balkontür hinter mir fiel langsam ins Schloss. Es war ein Moment in Zeitlupe. Christians Lippen bewegten sich hektisch. Ich verstand nur die Worte: „….Balkontür….nicht zu machen…ausgeschlossen!“ Was hatte es nur zu bedeuten? Mein Gehirn begann langsam, die schwerwiegende Bedeutung seiner Worte zu erfassen. Leider zu langsam. Ich rüttelte an der Balkontür, aber es war vergebens. Wir hatten uns ausgeschlossen. „Du hast uns ausgeschlossen,“ verbesserte Christian meinen kleinen Grammatikfehler grimmig. Natürlich war er nicht gerade begeistert darüber, mich in seinem Urlaub auch noch in puncto deutsch zu korrigieren. Verständlich. Wir hatten Glück: Der Regen fiel senkrecht und wir hatten endlich mal wieder Zeit, für ein langes und intensives Gespräch unter Freunden. Wann kommt man in unseren hektischen Tagen schon dazu? Es war bereits dunkelste Nacht und es herrschte eine Totenstille auf den Straßen. Seit Stunden war keine andere Person zu sehen. Unsere Mobiltelefone lagen zumindest im Trockenen. „Vielleicht könnte ich die Dachrinne herunterklettern,“ schlug ich irgendwann vor. „Vielleicht könntest du dir dabei auch gleich noch das Genick brechen. Zwei Fliegen mit einer Klappe,“ ergänzte Christian meine Theorie. „El Nikki, das sind locker sieben Meter und die Dachrinne bricht dir weg, wenn du nur eine Wäscheleine daran aufhängst, ohne Wäsche! …und dann liegst du da unten auf der Straße und saust alles ein… und was soll ich dann bitte machen? Ich kann noch nicht einmal einen Krankenwagen rufen, weil kein Handy. Diese Sache mit dem Herunterklettern hat einen riesigen Haken, mein Freund. Sag mal, meinst du eigentlich, dieses Sprichwort „Die Sache hat einen Haken“ kommt daher, dass der weibliche BH auch einen kniffeligen Haken hat?“ „Du meinst im Gegensatz zum männlichen BH?“ spielte ich den Ball wieder zurück. Christian zischte nur „Nikki“ – ich war gewarnt. „Ich weiß nicht, ich halte es nicht für unmöglich.“ Christian war mit meinen Worten zufrieden. (Anmerkung der Redaktion: Es ist unmöglich. Das Sprichwort hat einen ungeklärten Ursprung, wurde allerdings bereits im Mittelalter abgewandelt verwendet, während der BH erst am Ende des 19. Jahrhunderts erfunden wurde).
Sprichwörter kommen und gehen, wir standen immer noch auf dem Balkon. Langsam wurde es immer kälter. „Wir müssen jetzt irgend etwas machen,“ begann ich. „Es wird immer kälter und wenn wir die Nacht hier draußen verbringen, dann werden wir am Ende noch erfrieren! Und das im August in Südafrika, das würde uns ja ewig nachhängen.“ „Wenn es noch kälter wird, dann halten wir uns einfach gegenseitig warm,“ schlug Christian vor. „Gegenseitig?“ fragte ich erschrocken nach. „Na Löffelchen, El Nikki.“ „Alles klar, ich werde dann mal mein Glück mit der Dachrinne versuchen,“ beschloss ich die Diskussion. Doch endlich hatten wir wieder ein bisschen Glück: Soeben fand der Schichtwechsel der Parkwächter statt und einer der beiden sah uns. Wir erklärten ihm kurz die Situation, er wiederum lachte sich kurz eine halbe Stunde aus und schon waren wir zurück auf unserem Zimmer.
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