Reisebericht 2

Goldrausch in Südafrika

Im August: Die Sonne brannte uns die Nacken rot. Der Tag war am Besten in der

exakten Mitte zwischen Getränkekühlschrank und Pool auszuhalten. Es war dringende Zeit, endlich

mal wieder raus zu kommen. Bremen war einfach zu heiß geworden. Der nächste Urlaub stand

unmittelbar bevor. Christian meinte noch zu mir: „El Nikki, wir müssen einen Kurztrip machen!

Dringenst. Superlativ, verstehen Sie?“ Ich nickte und zählte reflexartig ein paar naheliegende

Gedanken auf: „Ein Wochenende in Stockholm, St. Petersburg, London, vielleicht wäre Irland eine

Alternative?“ „Nikki,“ Christian zog nun meinen Spitznamen in die Länge und verdunkelte die

Vokale. Alle beide. Den Artikel ließ er ganz weg. Ich wurde gedemütigt. „Wenn ich sage Kurztrip,

dann meine ich zwei Wochen in Rio, Las Vegas, Bangkok, oder Shark Cage Diving in Kapstadt,

verstehen Sie?“ Ich nickte bedenklich. „Shark Cage Diving,“ fragte ich nach. „Erzähl mir mehr.“

Anschließend sahen wir uns noch so ein verstörendes Video im Internet an, in dem man sah, wie es

einem weißen Hai gelang, mit dem riesigen Maul in die Guckscharte des Käfigs zu gelangen.

Unsere Vorbereitungen waren abgeschlossen.

Zwei Tage später standen wir mit gepackten Koffern vor dem Bremer Flughafen. Wir waren

rechtzeitig da, Christian musste noch kurz die Stange Zigaretten aufrauchen, bevor es losgehen

konnte. Die sind nicht mehr gut, wenn wir zurück sind, meinte er. Ich nickte. Manchmal ist es das

Beste, einfach gar nichts zu sagen. Bei diesem Gedanken musste ich dann auch nicken. Kaum

hatten wir unsere perfekte Reisehöhe erreicht, da fingen unsere persönlichen Turbulenzen bereits

an: Christian, in den Sitz gepresst, zuckte, wie ein Hühnchen, dem man soeben den Kopf

abgeschlagen hatte. Er stöhnte immer wieder. Ich guckte mir das ganze einen Moment lang an, auf

jeden Fall interessanter, als das Bordprogramm, dachte ich. Dann war auch schon eine der

Flugbegleiterinnen da: „Geht es ihm nicht gut?“ Christian stöhnte laut auf.

„Es ist nur ein kleiner Nikotinschock,“ entgegnete ich. „Der fängt sich schon wieder.“ Ich stieß

meinen Ellbogen in Christians Seite, er stöhnte erneut auf und ich rollte mit den Augen, so dass es

die Flugbegleiterin nicht sehen konnte. „Kann man denn irgend etwas für ihn tun,“ fragte sie nun

mit besorgter Stimme. „Nun ja, wenn wir etwas mehr Beinfreiheit hätten, dann würde es ihm

bestimmt sehr viel besser gehen,“ entgegnete ich.

Der anschließende Flug in der World Business Class war überhaupt nicht das Problem: Unglaublich

viel Beinfreiheit, leckeres Essen und ein perfekter Service. Es war der beste Flug, den ich jemals

machen durfte und es war eine Win-Win-Situation – zumindest so lange die Flugbegleiterin niemals

das Wort „Nikotinschock“ nachschlagen würde. Wir landeten abends in Kapstadt und nahmen ein

Taxi zum bereits gebuchten Hotel (Wenn Sie vorhaben, ihre Reise selbst zu organisieren, dann

empfehle ich hierbei, immer zumindest das erste Hotel nach dem Flug bereits von Deutschland aus

zu buchen, so dass Sie zumindest am Tag der Ankunft bereits wissen, wo es konkret hingehen soll.

Viele Hotels und Hostels bieten auch einen kostenlosen Storno-Service an.)

Das Hostel war ziemlich geräumig und unser Zimmer recht komfortabel. Wir hatten sogar einen

kleinen Balkon. Das Wetter hingegen war das absolute Kontrastprogramm zum viel zu heißen

Sommer in Deutschland: Auf die Temperaturen waren wir zwar gut eingestellt, schließlich sind wir

in den Winter Südafrikas geflogen, doch gab es leider auch sehr viel mehr Regen, als wir erwartet

hatten. Statistisch gesehen gibt es 13,7 Tage Regen im August – in unseren 14 Tagen in Kapstadt

haben wir sie alle erlebt, sogar ohne Aufpreis. Glücklicherweise hatte ich den gelben Friesennerz

wieder einmal dabei. Sogar die Einheimischen behaupteten, es wäre ungewöhnlich viel Regen,

selbst für die Jahreszeit. Nun fragen Sie natürlich völlig zurecht, was diese beiden Idioten auch in

den Winter fliegen. Ganz einfach: Es ist eben die beste Zeit, um weiße Haie zu beobachten und das

war schließlich unser Hauptziel in Kapstadt.

Blitzschnell hatte Christian seinen Koffer ausgepackt: Auf meinem Bett, schließlich wollte er selbst

 

in seinem eigenen Bett liegen. Mir blieb zumindest der äußerst komfortable Schemel. Zum

perfekten Bauernglück fehlte eigentlich nur noch die Milchkuh. Nach einer kurzen Ruhepause ging

er dann hinaus auf den Balkon. Ich folgte ihm nach einem kurzen Moment. Schließlich hatte sich

mein Rücken gerade erst an den Komfort des Schemels gewöhnt. Ich stand auf dem Balkon, die

Balkontür hinter mir fiel langsam ins Schloss. Es war ein Moment in Zeitlupe. Christians Lippen

bewegten sich hektisch. Ich verstand nur die Worte: „....Balkontür....nicht zu

machen...ausgeschlossen!“ Was hatte es nur zu bedeuten? Mein Gehirn begann langsam, die

schwerwiegende Bedeutung seiner Worte zu erfassen. Leider zu langsam. Ich rüttelte an der

Balkontür, aber es war vergebens. Wir hatten uns ausgeschlossen. „Du hast uns ausgeschlossen,“

verbesserte Christian meinen kleinen Grammatikfehler grimmig. Natürlich war er nicht gerade

begeistert darüber, mich in seinem Urlaub auch noch in puncto deutsch zu korrigieren. Verständlich.

Wir hatten Glück: Der Regen fiel senkrecht und wir hatten endlich mal wieder Zeit, für ein langes

und intensives Gespräch unter Freunden. Wann kommt man in unseren hektischen Tagen schon

dazu? Es war bereits dunkelste Nacht und es herrschte eine Totenstille auf den Straßen. Seit

Stunden war keine andere Person zu sehen. Unsere Mobiltelefone lagen zumindest im Trockenen.

„Vielleicht könnte ich die Dachrinne herunterklettern,“ schlug ich irgendwann vor. „Vielleicht

könntest du dir dabei auch gleich noch das Genick brechen. Zwei Fliegen mit einer Klappe,“

ergänzte Christian meine Theorie. „El Nikki, das sind locker sieben Meter und die Dachrinne bricht

dir weg, wenn du nur eine Wäscheleine daran aufhängst, ohne Wäsche! ...und dann liegst du da

unten auf der Straße und saust alles ein... und was soll ich dann bitte machen? Ich kann noch nicht

einmal einen Krankenwagen rufen, weil kein Handy. Diese Sache mit dem Herunterklettern hat

einen riesigen Haken, mein Freund. Sag mal, meinst du eigentlich, dieses Sprichwort „Die Sache

hat einen Haken“ kommt daher, dass der weibliche BH auch einen kniffeligen Haken hat?“ „Du

meinst im Gegensatz zum männlichen BH?“ spielte ich den Ball wieder zurück. Christian zischte

nur „Nikki“ - ich war gewarnt. „Ich weiß nicht, ich halte es nicht für unmöglich.“ Christian war mit

meinen Worten zufrieden. (Anmerkung der Redaktion: Es ist unmöglich. Das Sprichwort hat einen

ungeklärten Ursprung, wurde allerdings bereits im Mittelalter abgewandelt verwendet, während der

BH erst am Ende des 19. Jahrhunderts erfunden wurde).

Sprichwörter kommen und gehen, wir standen immer noch auf dem Balkon. Langsam wurde es

immer kälter. „Wir müssen jetzt irgend etwas machen,“ begann ich. „Es wird immer kälter und

wenn wir die Nacht hier draußen verbringen, dann werden wir am Ende noch erfrieren! Und das im

August in Südafrika, das würde uns ja ewig nachhängen.“ „Wenn es noch kälter wird, dann halten

wir uns einfach gegenseitig warm,“ schlug Christian vor. „Gegenseitig?“ fragte ich erschrocken

nach. „Na Löffelchen, El Nikki.“ „Alles klar, ich werde dann mal mein Glück mit der Dachrinne

versuchen,“ beschloss ich die Diskussion. Doch endlich hatten wir wieder ein bisschen Glück:

Soeben fand der Schichtwechsel der Parkwächter statt und einer der beiden sah uns. Wir erklärten

ihm kurz die Situation, er wiederum lachte sich kurz eine halbe Stunde aus und schon waren wir

zurück auf unserem Zimmer.

Am nächsten Vormittag regnete es besonders stark. Der Tafelberg versteckte sich hinter einer

dichten Wolkenwand. Christian rief in Gansbaai an und erkundigte sich darüber, ob es möglich

wäre, an diesem Tag hinaus auf das Meer zu fahren, um Haie zu beobachten. Gansbaai liegt etwa

165 km südöstlich von Kapstadt und zählt weltweit zu den besten Orten, um weiße Haie zu

beobachten. Doch uns wurde mitgeteilt, dass die Wellen bis zu sieben Meter hoch wären und daher

kein Boot hinaus fahren würde. Wir nutzten den Tag und schauten uns erst einmal Kapstadt mit

seinen Sehenswürdigkeiten selbst an. Das Wetter blieb beständig schlecht und so erkundigten wir

uns jeden Tag vergebens, ob wir endlich in den Edelstahlkäfig unter Wasser gelangen könnten.

Durch das Wetter mussten wir all unsere geplanten Aktivitäten streichen: Hierzu gehörten

Paragliding vom Lion's Head, Abseilen vom Tafelberg, Whale Watching in Hermanus (als

Bootsfahrt) und ein Helikopterrundflug mit der alten Bell UH-1, dem sogenannten Huey. Sie wissen

schon: dem prototypischen Helikopter aus dem Vietnamkrieg. All dies fiel buchstäblich ins Wasser.

 

In den folgenden Tagen sahen wir uns daher erst einmal die Hauptattraktionen für Touristen an:

Zuerst fuhren wir mit der Fähre nach Robben Island. Komischer Name für eine Insel auf der keine

Robben leben. Robben Island liegt etwa 12 km vor Kapstadt und bietet somit eine wunderschöne

Aussicht auf die gesamte Tafelbucht samt Kapstadt. Allerdings ist Robben Island hauptsächlich

dafür bekannt, einmal eines der berühmtesten Gefängnisse der Apartheid gewesen zu sein. Der

zweifelsfrei bekannteste Häftling war Nelson Mandela (er wurde hier knapp 20 Jahre inhaftiert).

Die frühere Gefängnisinsel wurde in den 90er Jahren zu einem Natur- und Nationaldenkmal und die

ehemaligen Gefängnisgebäude zu einem Museum umfunktioniert. Ein absolutes Muss für jeden, der

sich ein wenig mit der traurigen Geschichte Südafrikas befassen möchte. Wir wurden sogar von

einem ehemaligen Häftling herum geführt, was wiederum zu einer lebhaften Diskussion zwischen

Christian und mir führte: Ist es moralisch einwandfrei, einen ehemaligen Häftling als Tourguide in

seinem alten Gefängnis einzusetzen? Ist es eher eine Quälerei, jeden Tag allein durch die Nähe zum

alten Gefängnis, mit seiner grausamen Vergangenheit konfrontiert zu werden, oder ist es eher ein

Akt der Befreiung, ein persönliches Aufarbeiten der entstandenen Traumata? Was denken Sie? Wir

argumentierten so lange, bis jeder von uns genau den konträren Standpunkt angenommen hatte und

wir die Diskussion quasi direkt noch einmal mit umgedrehten Vorzeichen neu hätten beginnen

können. Unsere Gruppe war verschwunden, vermutlich nicht ganz so plötzlich und wir waren

gefangen im Zellenblock C.

Am nächsten Tag fuhren wir ins District Six und besuchten das gleichnamige Museum. Auch hier

wird die Geschichte der Apartheid erneut lebendig und so kann man viele Informationen über diese

Zeit und deren Folgen einsehen. Auch wenn die schwarze Bevölkerung Südafrikas mittlerweile ihre

Freiheit gewonnen hat, so ist es immer noch ein langer Weg, bevor sie auch die gleichen Rechte und

Privilegien genießen wird.

Beinahe an jedem Tag besuchten wir die Victoria & Albert Waterfront. Hierbei handelt es sich um

ein Einkaufs- und Vergnügungsviertel direkt am Hafen mit spektakulären Aussichten. Einen Tag

besuchten wir auch das dort situierte Two Oceans Auqarium. Dieses kann ich persönlich allerdings

nur bei dauerhaft schlechtem Wetter empfehlen.

Dann ging es bei vermeintlich gutem Wetter hoch auf den Tafelberg. Unten in der Stadt war es an

diesem Tag recht klar, doch etwa 1.000 Meter höher war die Sicht eher schlecht und es lag sogar ein

wenig Schnee auf dem Plateau. Doch wenn sich der Nebel für einen Moment lang lichtete, so

bekamen wir herrliche Ausblicke auf die Stadt.

Kapstadt kannten wir nun bereits recht gut und so mieteten wir ein Auto, um auch das Umland

besser kennenzulernen. Ich hatte noch wichtige Dinge im Hotel zu regeln: Schließlich konnten

meine Siedler im Internet schlecht ohne meine weisen Anweisungen auskommen. Christian sollte

schon einmal den abgesprochenen Opel Corsa von der Verleihfirma besorgen. Gerechte

Arbeitsteilung eben. Eine Stunde später wartete ich bereits ungeduldig vor dem Hostel, als ein

riesiges Ungetüm die Sonne verdunkelte. „El Nikki,“ schrie Christian aus dem heruntergelassenen

Seitenfenster vollster Euphorie. „Ich hab den meeeeeeega Deal an Land gezogen!“

„Du darfst diesen Landrover Defender behalten, wenn du es schaffst die Gletscher binnen einer

Woche eigenhändig zu schmelzen?“

„Nein!“

„Du hast am Glücksrad gedreht und diesen riesigen Haufen Blech gewonnen?“

„Nein!“

„Du hast diesen Rehzerquetscher zum Preis des Corsas bekommen?“ fragte ich nun hoffend nach.

„Ach Quatsch El Nikki, den Defender bekommst du doch nicht zu diesem Preis! Aber dafür können

wir jetzt durch Flüsse fahren! Guck dir den Schnorchel des Autos an. Geil oder?“

(Wir sind durch keinen einzigen Fluss gefahren, aber mit sehr viel Begeisterung fuhr Christian

durch jede Pfütze, die er finden konnte.)

 

„Wunderbar,“ entgegnete ich wenig überzeugt. „Aber was kostet uns dieser Spaß?“

„Ach, lächerliche 500 € mehr in der Woche!“

„Fünf Hundert?“ Ich bemerkte, wie hoch meine Stimme plötzlich war und bekam keine Luft mehr

in die Lungen. „Davon lebe ich drei Monate lang!“

Christian lachte. „Das nennst du Leben? Aber es sind 500 € pro Kopf, nicht das wir uns falsch

verstehen.“

Als ich wieder das Bewusstsein erlangte, waren wir bereits unterwegs nach Simon's Town. Simon's

Town liegt etwa 40 km südlich von Kapstadt direkt auf der Cape Point Route und ist Heimathafen

der südafrikanischen Flotte. Hier liegen sie also: Die gesamten Kriegsschiffe Südafrikas. Also alle

vier Fregatten der Valour-Klasse, sowie die drei U-Boote der Heroine-Klasse. Aber uns lockte etwas

ganz anderes in die False Bay: Im Süden der kleinen Hafenstadt liegt der Boulder's Beach mit

 

seinen gewaltigen Granitfelsen. Dieser Strandabschnitt ist Heimat für eine der drei Pinguin-

Festland-Kolonien Südafrikas. Insgesamt umfasst die Kolonie etwa 3.000 Brillenpinguine, die seit

 

1985 dort leben. „Immer elegant gekleidet, die Jungs,“ bemerkte Christian und guckte mir fordernd

in die Augen. „Daran kannst du dir mal ein Beispiel nehmen!“ Meine Schlagfertigkeit war jedoch

an jenem Tag stark eingeschränkt. Verzweifelt überlegte ich immer noch, woher ich die 500 € für

den Landrover hernehmen sollte. Wir waren in Südafrika – vielleicht könnte ich eine Niere

verkaufen. Am Besten eine von Christians Nieren.

Es ging weiter auf der Cape Point Route bis an den südlichsten Punkt der Landzunge: Das Kap der

guten Hoffnung. Das Kap der guten Hoffnung liegt inmitten eines großen Nationalparks. Hier findet

man einige einheimische Tierarten vor: Vogelsträuße, Paviane, Wale, Schlangen (Die einzige

Schlange, die ich mit eigenen Augen sah, hörte auf den Namen Christian). Überall gab es

Warnhinweise, man solle auf gar keinen Fall die Paviane füttern, da sie sehr gefährlich wären. Zum

Schutz der Touristen ist es sogar per teurer Geldstrafe verboten, diese kleinen Gauner zu füttern.

Dies hielt viele Touristen jedoch trotzdem nicht davon ab. Die Paviane, die nicht gefüttert wurden,

versteckten sich hinter den Autos, um blitzartig hervorzuschnellen, den Rucksack eines Touristen zu

klauen, um dann für immer damit zu verschwinden. Auf dem Weg zu einem der zahlreichen

wunderschönen Aussichtspunkte beobachteten wir, wie eine Touristin einem der Paviane hektisch

hinterher lief. Immer wieder schrie sie aus vollster Verzweiflung: „My passport, my passport!“

Südafrika hatte wohl eine neue Staatsbürgerin gewonnen.

Am darauf folgenden Tag war das Wetter derartig schlecht, so dass uns nicht viele Optionen

blieben. Erneut gingen wir an die Waterfront, schlenderten durch die Mall und gingen dann

anschließend in das sehr dekadente Belthazar Restaurant & Wine Bar zum Mittagessen. Christian

bestellte sein Straußensteak well done (gewöhnlich isst er sein Steak blutig, doch auf meine

entsprechende Frage, entgegnete er belehrend, man könne in Südafrika nichts blutig essen, da die

Salmonellengefahr zu hoch wäre. Ich nickte.), während ich ausgedehnt auf einem Salatblatt kaute.

Schließlich musste ich noch für den Landrover sparen. Anschließend guckten wir uns einen Film im

Kino an. Es passierte noch während des Vorprogramms: Ich klaute mir ein paar Gummibären aus

Christians Tüte – wenn man in dieser Welt etwas haben möchte, so muss man es sich nehmen.

Plötzlich bemerkte ich, dass sich mehr als nur Gummibären in meinem Mund befanden! Etwas

metallisches klackte gegen meine Zähne. Ich schluckte schnell hinunter. Doch schon in diesem

Moment ging mir ein Licht auf. Erschrocken tastete ich mich mit meiner Zunge an den Beißerchen

entlang. Mein schlimmster Verdacht wurde bestätigt: Ich hatte soeben mein Goldinlay

heruntergeschluckt. Am darauf folgenden Morgen ging ich dann meiner neuen Tätigkeit nach:

Zuerst besorgte ich mir ein Metallsieb aus der Küche des Hostels, dann kam der morgendliche

Kaffee zum Einsatz. Schnell rauchte ich noch eine Zigarette und dann verschwand ich mit der

Tageszeitung unter den Arm geklemmt in meinem neuen Arbeitszimmer. Viel zu leichtsinnig dachte

ich mir, dass das Inlay schon nach 24 Stunden seinen Weg zurück an das Tageslicht finden würde.

Falsch gedacht! So entwickelte ich in den darauf folgenden Tagen ein neues morgendliches Ritual:

Ich war unter die Goldgräber gegangen. Nun ja, dachte ich mir: In Südafrika ist schon so mancher

 

reich geworden, durch das beständige Schürfen nach Gold. Eine wirkliche Scheißarbeit, kann ich

ihnen sagen. Und so vergingen ein paar Tage. Als ich endlich das „Pling“ in der Metallschüssel

vernahm, war ich wieder sehr glücklich. Noch am selben Tag ging ich zu einem hiesigen

Goldhändler und ließ mir den entsprechenden Goldwert des Inlays auszahlen. Der Landrover war

bezahlt und endlich konnte ich wieder etwas essen. Dieses Mal hatte ich wirklich aus Scheiße Gold

gemacht und seitdem habe ich einen neuen Spitznamen bekommen. Nun nennt mich Christian: El

Nikki, der kleine Goldesel.

Dann kam endlich der Morgen der Morgende, unser goldenes Vlies, der Goldtopf am Ende des

Regenbogens: Wir bekamen grünes Licht aus Gansbaai. Noch in der Dunkelheit fuhren wir unserem

Rendezvous mit dem größten Fisch des Meeres entgegen. Ich hörte meine Lieblingsmusik: Die Foo

Fighters. Schon komisch, wie einige Textzeilen in den entsprechenden Situationen auf uns wirken.

In meinen Kopfhörern dröhnte mir „There is no way back from here“ und „Long road to ruin“

entgegen. Seltsamerweise hatte ich keine Lust mehr auf Musik, schaltete den MP3-Player aus und

sah mir stattdessen den Sonnenaufgang an. Skeptisch standen wir vor unserem Ausflugsboot.

„You're going to need a bigger boat,“ zitierte ich Roy Schneider. „Ach, wir werden in diesem

Edelstahlkäfig in Sicherheit sein,“ entgegnete Christian. „Ist das da oben Rost?“ fragte ich. In

diesem Moment lief unser Haiexperte an uns vorbei und beruhigte uns mit den Worten: „Wenn der

Hai will, dann kann der den Käfig wie einen Zahnstocher zerdrücken.“ „Der will ja aber gar nicht,“

behauptete Christian. „Jungs, ihr dürft keine Angst haben, so etwas spüren die Haie und dann

greifen sie an. Solange ihr keine Angst habt, ist alles gut.“ „Siehst du: Ganz einfach!“ fügte

Christian hinzu. Schnell unterschrieben wir noch diesen Wisch, dass wir die Shark Diving

Unlimited für gar nichts verantwortlich machen könnten, egal was auch passieren würde. Dann

legten wir ab. Die Wellen waren etwa drei Meter hoch und wir begannen zu verstehen, warum es an

den Tagen zuvor wirklich unmöglich war, hinaus zu fahren. Selbst bei diesen drei-Meter-Wellen

war es das reinste Abenteuer. Vor Dyer Island hielten wir an und die Besatzung lockte die weißen

Haie mit Robbenblut an. Im Gegensatz zu den Gerüchten, kann ein Hai über eine Distanz von

Kilometern genau riechen, um was für ein Blut es sich handelt und so ist es äußerst

unwahrscheinlich, dass ein weißer Hai auf Menschenblut überhaupt reagiert. Es dauerte etwa eine

halbe Stunde. Überall flogen Möwen umher und die Mannschaft bedeutete uns, immer mit den

Augen den Möwen zu folgen, um nach den Haien Ausschau zu halten. Ich stand an der Reling

neben einem US-Amerikaner. Uns wurde gesagt, wie kalt das Wasser war. Mein Nachbar fühlte sich

bei diesen Worten veranlasst, das ganze mal mit seiner Hand zu überprüfen. Ich zog ihn schnell

zurück. Er guckte mich verwundert an. Ich sagte: „Wir locken hier weiße Haie mit Robbenblut an

und du willst deinen Ärmel ins Wasser halten. Willst wohl, dass dir die Flosse abgebissen wird.“

Dann war auch schon der erste Hai da. Der große Körper des Hais ist quasi ein einziger großer

Muskel, an dessen Ende sich ein dreiläufiges Revolvergebiss mit messerscharfen und dolchgroßen

Zähnen, die immer wieder nachwachsen, befindet. Der Käfig wurde heruntergelassen, wir zogen

uns die Neoprenanzüge an. Christian wollte unbedingt der erste sein. Ich ließ ihm großzügig, wie

ich bin, den Vortritt. Nach etwa einer Stunde kam er zitternd wieder aus dem Wasser. Die

Wassertemperatur lag bei etwa 13 Grad Celsius. Man fror bis auf die Knochen, selbst im

Neoprenanzug. Ich übergab ihm die Spiegelreflexkamera und hüpfte hinein in den kleinen Käfig. Es

ist gar nicht so einfach, sich bei derartigem Wellengang in dem kleinen Käfig festzuhalten, ohne

irgendwelche Extremitäten aus dem Käfig hängen zu lassen. Und es strengt unglaublich an. Unter

Wasser wirkten die Haie noch größer. Ich hielt es etwa zwei Stunden aus, bevor ich völlig erschöpft

und eiskalt mit letzter Kraft wieder zurück ins Boot krabbelte. Es war sehr beeindruckend, wie diese

Giganten an dem Käfig vorbei schwammen. Insgesamt sah ich sechs verschiedene Riesen; einer

hatte kräftige Narben auf dem Rücken. Ist wohl an einem Schleppnetz hängen geblieben, dachte

ich. Die Haie wirkten sehr verspielt. Unser Experte meinte, der Größte, den wir an jenem Tage

sahen war gut und gerne 5,5 Meter lang. Absolut beeindruckend. Übrigens geht dieser Haiexperte,

Mike Rutzen, ganz ohne Schutz mit den weißen Haien ins Wasser und spielt mit ihnen. Er erforscht

die Tiere seit Jahren und ist sehr bemüht, die Art zu schützen. Wenn wir so weiter machen, wie

 

bisher, dann wird es in etwa zehn Jahren keine mehr geben, sagte er. Das Shark Cage Diving

veranstaltet er nur, um finanzielle Mittel zum Schutz der Art bereit zu stellen. Beeindruckende

Tiere, beeindruckender Mann. Das Warten und die Reise hatten sich per Definition gelohnt. Nie

zuvor hatte ich so viel Ehrfurcht vor der Natur.

Am Nachmittag machten wir uns dann auf den Rückweg. Wir hielten noch in Hermanus an und

beobachteten vom Festland aus (eigentlich hätten wir auch hier gerne einen kleinen Bootsausflug

gemacht), wie unzählige Wale mit ihren Kälbern umher schwammen. Jedes Jahr kommen die Wale

an die Buchten von Hermanus, um ihre Jungen zur Welt zu bringen. Wale sind sehr intelligente

Tiere und kommunizieren mit ihrem Gesang untereinander. Ich überlegte, ob es ihnen vielleicht

bewusst wird, dass jedes Jahr weniger Wale in die Bucht von Hermanus zurück gelangten. Ein

trauriger Gedanke. Stellen Sie sich vor, sie kommen nur Weihnachten nach Hause und müssen jedes

Jahr feststellen, dass ein weiteres Familienmitglied fehlt. Jahr für Jahr. Solange, bis Sie alleine

feiern müssen.

Von Hermanus aus fuhren wir die wunderschöne Whale Route entlang zurück nach Kapstadt. Wir

hielten immer wieder an den kleinen Buchten an und schauten hinaus aufs Meer. Eine unglaublich

schöne Landschaft, die mit nichts in Europa zu vergleichen ist. Bei der Whale Route handelt es sich

um eine sehr gute und modern ausgebaute Straße, die direkt an den zahlreichen Meeresbuchten

entlangführt. Immer wieder gibt es kleine Parkplätze an den Seiten: Diese sind eigens für Touristen

gebaut worden, um auf der Strecke zwischendurch immer wieder anhalten zu können, um Fotos von

den Walen und der malerischen Landschaft machen zu können. Lassen Sie es sich um keinen Preis

entgehen. Besonders schön wirkt die Landschaft in der allmählich untergehenden Abendsonne.

(Aber passen Sie auch hier auf Paviane auf)

Dann ging es leider wieder zurück zum Flughafen. Wir blieben vor der Eingangshalle stehen,

Christian guckte mich an und sagte: „Wart mal, ich hab da noch 'ne Stange Zigaretten.“ „Gib mal

rüber,“ sagte ich. „Eine Zigarette?“ „Eine Stange!“ entgegnete ich. „Der Hinflug in der World

Business Class hat mir schon ganz gut gefallen.

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